05. der koerperliche Blick

Kapitelblatt der 5. Aufgabe Architekturfotografie mit dem Thema "der körperliche Blick"Nachdem wir uns in den vorherigen Aufgaben weitestgehend mit dem Raumkörper Architektur und dessen Inszenierung auseinandergesetzt haben, stellt sich zwangsweise die Frage nach der Auseinandersetzung um die Dualität sowie das Verhältnis des Körper zum Raum.

Das Verhältnis zwischen menschlichem Körper und Architektur ist von Vitruv bis zu Le Corbusier immer ein elementares Thema der theoretischen Auseinandersetzung gewesen: in der Proportionsfigur, im menschlichen Maßstab, im Modell eines Organismus oder in der Vorstellung einer dritten Haut oder eines zweiten Kleides, in der Bestimmung als Zentrum der sinnlichen Wahrnehmung und der praktischen Aneignung oder gar als ästhetische und kulturelle Norm – die gegenseitigen Verweisungen zwischen Körper und Architektur sind ebenso vielfältiger Art wie die daraus enwickelten Schlussfolgerungen.

Der leibliche Körper des Menschen hat sich in seinem Verhältnis zu Architektur und Stadt geformt und verändert: Gestik, Mimik, Habitus, Sozialverhalten und Denkformen reagieren auf die gebaute und gestaltete Umwelt und wurden durch sie mitgeprägt. Der materielle Körper der Stadt und der Gebäude ist dagegen schon immer als Verkörperung von Ideen, Bildern und Utopien angesehen worden, und die Moderne hat besonders die Entsprechung der architektonischen Formen zu den physiologischen, ergonomischen und motorischen Funktionen des menschlichen Verhaltens herauszustellen versucht. Im historischen Prozess entsteht aus diesen Bezügen ein Wechselverhältnis, das in immer neuen Ausprägungen mit dem jeweiligen zivilisatorischen und kulturellen Stand einer Epoche korrespondiert.

Wenn man heute beobachtet, dass sich die sozialen und kulturellen Milieus dramatisch verändern, vielleicht sogar auseinander brechen, kann man auch eine Zerstückelung und Fragmentierung des architektonischen Körpers feststellen. Die körperliche Aneignung der Stadt durch unterschiedliche Benutzertypen führt zu diversen Ausdifferenzierungen des Stadtkörpers, die einander überlagern, ohne noch zu einem Ganzen zu verschmelzen: der klassische Flaneur oder Zuschauer interagiert mit der Stadt ganz anders als der Yuppie oder der Penner, der Jogger oder der Skater, die Prostituierte oder der Polizist, der Rentner oder das Schulkind. Diese Fragmentierungen finden sowohl materielle Entsprechungen, wie auch unterschiedliche „mentale Karten“ oder mythische und utopische Überhöhungen (im Sport, im Film oder in der Werbung).

Es ist offensichtlich, dass es nicht nur regionale Besonderheiten im Wechselverhältnis zwischen dem leiblichen und dem architektonischen Körper gibt, sondern auch geo- und ethnografische Differenzen, die besonders in den außereuropäischen Kulturen zu untersuchen und daraufhin zu befragen wären, wie weit diese Differenzen sich im Prozess der Globalisierung verschwinden oder sich transformieren. Es könnte sein, dass die „Californisierung“ der europäischen Städte ein letztes Aufbegehren gegen die schleichende „Entkörperung“ ist, die mit der zunehmenden Digitalisierung und Virtualisierung des urbanen Körpers verbunden ist. Die digitalen Netze bilden eigene urbane Strukturen aus, deren artifizielle Sinnlichkeit eine neuartige leibliche Entsprechung erfordert, die mit dem Begriff des „Surfers“ bisher nur undeutlich metaphorisch erfasst wird. Einige dieser Aspekte sollen fotographisch analysiert und interpretiert werden.

Hierzu geben wir drei grobe Themenkomplexe vor. Jeder Student sucht sich einen dieser Komplexe aus und versucht diesen mit seiner Arbeit zu interpretieren:

Körper und urbane Identität
Sieht man den öffentlichen Raum unter dem Aspekt der materiellen Bewegung, erschließen sich die Gestalt und die Dimension des öffentlichen Raumes als körperlich geprägte Form. Der öffentliche Raum, den wir mit unseren Körpern durchschreiten müssen, ist der Kitt unserer Städte, und er unterliegt den Veränderungen unseres sozialen Lebens, in dem Maße, wie diese sich körperlich vollziehen. Das Körperverständnis der Moderne und die Tatsache, dass unsere Städte materiell von unseren Körpern geprägt werden, lassen Schlüsse in Bezug auf unser heutiges Verhältnis zum urbanen Raum zu. Die Suche nach der neuen Identität unserer Städte führt über unseren Körper. Die Stadt nämlich, so lautet die These, spiegelt unser Verhältnis zu unserem Körperbewusstsein wider.

Das Bild des Körpers – Vom Vergessen des Körpers im Raum

Während Hochglanzbroschüren,  zumeist menschenleere,  Schmuckkästchen preisen, bleibt der Körper (unabtrennbares alter ego des betrachtenden Geistes)  in der Regel außer Betracht. Dabei stand er in wenigen Momenten der modernen Architekturbetrachtung oder -theorie wirklich im Mittelpunkt des Interesses der Bauenden, der Kritiker und deren Publikum. Die Vorherrschaft des Bildes verdrängt das konkrete Faktum Körper. Gleichermaßen verschwindet hinter dem Bild des architektonischen Raumes der konkrete Raum selbst. Der mit all seinen Sinnen jedoch, dient als motorisches und geistiges Instrument, dessen räumliches Erleben beschrieben werden kann, und das letzten Endes ein entwurfsrelevantes Moment für diejenigen Räume ist, die alltäglich beim Wohnen, Arbeiten oder während der Freizeit genutzt werden. Das vordergründig langweilige Alltagserlebnis mag daher von größerer Bedeutung sein, als ihm in der Regel zugestanden wird.

Urban Bodies – Ein Problemaufriss
Wenn man heute beobachtet, dass sich die sozialen und kulturellen Milieus dramatisch verändern, vielleicht sogar auseinander brechen, kann man auch eine Zerstückelung und Fragmentierung des architektonischen Körpers feststellen. Die körperliche Aneignung der Stadt durch unterschiedliche Benutzertypen führt zu diversen Ausdifferenzierungen des Stadtkörpers, die einander überlagern, ohne noch zu einem Ganzen zu verschmelzen. In diesem Zusammenhang wird von einer „Californisierung“ der europäischen Städte gesprochen, die sich in der Inszenierung von sportlichen Großveranstaltungen („Stadtmarathon“) ebenso zeigt wie in den zahlreichen Festivals, Performances und Shows, mit denen der Stadtkörper belebt werden soll.

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